Angehörige, die mit einem chronisch Kranken in der Familie leben, sind oft sehr gefordert. Halten diese Anforderungen über Jahre hinweg an, kann auch unsere Sprache schleichend auf der Strecke bleiben. Wir gelangen dann an den Punkt: Gerne würden wir unsere Situation mit Schreiben erleichtern und uns bei uns selbst aussprechen. Doch wir sind blockiert: Nichts geht, nichts fällt uns ein. Sobald wir uns hinsetzen, um zu schreiben, starrt uns das leere Blatt an. Du bringst keine Worte zu Papier.
Heute zeige ich dir eine Möglichkeit wie du in dieser Lage wieder ins Schreiben kommen kannst.
Dabei habe ich eine Bitte an dich:
Sei geduldig mit dir selbst.
Im Folgenden leite ich dich ganz pragmatisch an.
Nimm dir Stift und Papier, koche dir einen Tee oder schenke dir ein Getränk ein, das du gerne magst. Ziehe dich für einige Minuten an einen Ort zurück, an dem du ungestört bist.
Du brauchst 10 bis 15 Minuten Zeit.
Wenn du so viel nicht hast, dann beginne mit 5 Minuten – doch beginne!
Lege Stift und Papier griffbereit. Setze dich dann hin. Und nimm wahr:
- In welchem Raum bist du jetzt?
- Worauf sitzt du?
- Wie sitzt du? Bequem, unbequem, gekrümmt, aufrecht?
- Hast du eine Lehne im Rücken? Ein Kissen?
- Stehen deine Füße nebeneinander auf dem Boden?
- Oder hast du deine Beine übereinander geschlagen?
- Sitzt du am Tisch? Wenn ja, an welchem Tisch?
- Wie sieht der Tisch aus? Ist er aus Holz? Ist er aus Glas oder anderem Material?
- Wie sieht dein Schreibpapier aus? Ist es ein weißes Blatt? Ist es ein Heft? Ist das Papier kariert, liniert, sonstiges?
Weite deinen Blick.
- Steht oder liegt noch etwas auf dem Tisch? Was ist es? Ist er frei von Gegenständen, dann schreibe das.
- Was hast du an? Schenke jedem Kleidungsstück einen eigenen Satz. Benenne die Farbe, das Material. Wärmt es dich?
- Was siehst du außerdem im Raum? Beschreibe es. Schenke jedem Gegenstand einen eigenen Satz.
- Kannst du von deinem Platz aus dem Fenster sehen? Was siehst du draußen?
- Hörst du die Geräusche von draußen? Welche sind es konkret? Schenke jedem Geräusch einen eigenen Satz.
Bevor ich dir nun erkläre, wie und was du schreiben kannst, noch eins vorweg: Die Fragen sind Stoff für einen längeren Zeitraum, du wirst sie in wenigen Minuten nicht auf einmal beantworten können.
Wichtig: Beginne in ganz kurzen Sätzen zu schreiben. Es geht darum, dass du schreibst, was du in deiner Umgebung siehst und beobachtest – jetzt in diesem Moment. Der Stil wird stereotyp sein. Das spielt keine Rolle. Bleibe bei kurzen, knappen Sätzen. Bleibe bei dem, was du siehst. Dein Kopf wird sicherlich bewerten: „Das ist nicht gut genug, was ich schreibe.“ Lass ihm seine Meinung. Bleibe ungeachtet dessen bei dem, was du in diesem Moment siehst. Und schreibe es auf dein Papier.
Beantworte die Fragen, die ich dir bis hierher gestellt habe. Etwa so:
Ich bin im Wohnzimmer. Ich sitze auf dem Sofa. Es ist grün. Ich sitze im Schneidersitz.
Oder: Ich sitze in meinem Zimmer auf einem Holzstuhl. Er steht an meinem Schreibtisch. Auf dem Schreibtisch liegen Papiere, Ordner, Zettel. Ich schiebe sie beiseite. Jetzt habe ich freien Platz zum Schreiben. Mein Heft hat einen roten Einband. Es ist leer. Ich fülle es mit ersten Worten. Ich sehe den Stift übers Papier gleiten. Neben meinem Schreibtisch steht eine Lampe. Im Zimmer ist es taghell. Ich brauche die Lampe jetzt nicht. Wenn ich vom Schreibheft aufsehe, blicke ich auf das Foto an der Wand. Es zeigt… Wenn ich aufblicke, kann ich aus dem Fenster sehen. Ich sehe die Wolken wie sie…
Nimm deinen Schreibblock und beginne jetzt.
Beende dein Schreiben nach der Zeit, die du dir vorgenommen hast.
Schreibe so einfach wie möglich
Gönne dir künftig regelmäßig Zeit zum Schreiben. Wiederhole diese Übung so lange sie dir gut tut. Eine Woche, zwei, drei oder länger. Du kannst dabei auch einen anderen Raum wählen oder die Umgebung wechseln. Du wirst bemerken, dass dich diese Art zu schreiben von deinem eigenen Leistungsanspruch entlastet. Mache es dir so einfach wie möglich. Sei so konkret wie möglich. So erschreibst du dir eine neue Basis. Nebenbei, dies wirst du im Laufe der Zeit beobachten, schärfst du deine Beobachtungsgabe. Du kannst im Alltag auch zwischendurch immer wieder in einen inneren Monolog mit dir gehen: Ich schalte die Herdplatte ein. Ich räume die Gläser aus der Spülmaschine ins Regal. Ich schließe die Haustür ab…
Erlaube deinem Schreiben freien Fluss
Wenn sich im Laufe der Zeit – mitten im Schreiben – freie Ideen hinein mischen wollen in deine Worte, dann gib ihnen Raum. Löse dich von dem Beschreiben dessen, was dich unmittelbar umgibt. Du weißt ja nun, jederzeit kannst du wieder zum Beschreiben deiner momentanen Beobachtung zurück kehren, wenn dir danach ist. Und dann erlaube dir wieder frei auszuschweifen, wenn Ideen und Worte sich zeigen wollen.
Ich wünsche dir gutes Gelingen dabei – und viel Freude!
Deine Ines Franzke, Wegbegleiterin
Interessanter Ansatz! Die Tipps sind genau das, wonach ich gesucht habe.
Vielen Dank fürs Teilen!